Gesellschaftsbarometer Emanzipation

Der gesellschaftliche Transformationsprozess vom zentralistisch gelenkten kommunistischen System in eine Marktwirtschaft, die weder sozial noch gerecht zu sein scheint, betrifft insbesondere auch die Geschlechterverhältnisse. Die wirtschaftliche Selbstständigkeit von Frauen hat sich verschlechtert; in Deutschland wie in Polen. Warum ist das so und muss das so sein? Und wie leben Polens Künstlerinnen unter dem wachsenden wirtschaftlichen Druck und einem politischen Ruck nach rechts? Über die Positionierung der Frau innerhalb der polnischen Gesellschaft als einem Gradmesser für Modernität sprach die Kunsthistorikerin Dr. Izabela Kowalczyk, 35, mit Anna Krenz, Architektin und provokante Künstlerin. Anna Krenz, 30, zog es wegen der Liebe zu einem Polen nach Berlin, Izabel Kowalczyk lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Poznań. Die Moderation übernahm Diplom-Politologin Dr. Claudia Neusüß, 45, Expertin in Sachen Gender Mainstreaming.

Dr. Claudia Neusüß: Izabela, die Website der polnischen Grünen, genannt „Zieloni 2004“, präsentiert dich als eine unwiderrufliche Optimistin, als grüne Kämpferin und unbeugsame Feministin. Wie ergeht es dir zurzeit als Frau und Feministin in Polen?

Dr. Izabela Kowalczyk: Polen ist nicht nur im Moment ein sehr seltsames Land, nicht besonders freundlich zu Frauen und erst recht nicht zu denen, die sich für die Rechte der Frauen einsetzen. Aber selbstverständlich bin und bleibe ich eine überzeugte Frauenrechtlerin! Die Kunst wie auch die Kunstgeschichte müssen anders betrachtet werden – unter einem feministischen Blickwinkel.

CN: Anna, wenn du mit der Distanz einer in Deutschland lebenden Polin dein Heimatland betrachtest, welche Eindrücke hast du?

Anna Krenz: Es verfolgt mich ein Gefühl der Leere und der Traurigkeit. Die Mehrheit meiner Bekannten hat Polen verlassen, alle meine Freundinnen leben in anderen Ländern. Abgesehen von meinen Eltern bindet mich kaum noch etwas an das Land. Die polnische Politik? Ich bin zu weit entfernt, um ein Urteil zu fällen. Aber in der polnischen Kunst geht es vorwärts und darauf bin ich sehr stolz. Allerdings haben wir – ähnlich dem zentralen System des Kommunismus – heute eine Zentralisierung durch die Macht der Medien. Wer sich in der Kunst einen Namen machen will, muss eine Karriere in Warschau machen.

CN: Welche Freiheiten gibt es in Polen, sich künstlerisch auszudrücken und sich Gehör zu verschaffen? Welche Grenzen gibt es?

IK: Ausstellungen werden geschlossen oder Exponate entfernt. Es herrscht eine mehr oder weniger offene Zensur – und eine Selbstzensur. Das betrifft insbesondere Künstlerinnen wie etwa Dorota Nieznalska, die sich mit kontroversen Themen auseinander setzen: Körper und Sexualität, Fragen der gesellschaftlichen Ordnung und Kritik an der Kirche. In Polen gehören nominell 96 Prozent der Bevölkerung dem katholischen Glauben an. Der Glaube prägt die polnische Gesellschaft; sie ist sehr traditionell und konservativ. Im entscheidenden Jahr 1989 galt die Kirche als eine Festung der Freiheit, als Treffpunkt der Solidarność-Bewegung. In den Folgejahren konnte die katholische Kirche ihre Stellung durch die Einführung des Religionsunterrichts an den Schulen sowie 1993 durch das Abtreibungsverbot stärken. Das Bild der Frau wird als das der Hausfrau, Mutter oder Jungfrau bestimmt. Feminismus ist in diesen gesellschaftlichen Zusammenhängen sehr unpopulär.

CN: Wie sind die Künstlerinnen zurzeit in Polen positioniert?

IK: Ihre Arbeiten werden aufgrund ihres Geschlechts banalisiert. So werden Männer nie wahrgenommen. Die Künstlerin Dorota Nieznalska hat seit den Streitigkeiten um ihre Installation „Pasja“ keine offizielle Ausstellung mehr in Polen. Ihre Arbeiten werden nur noch in privaten Räumen gezeigt. Dorota Nieznalska hat als Frau und Künstlerin ein geschlechtliches Tabu gebrochen: Ihre Installation zeigte ein Kreuz, das mit männlichen Genitalien bedeckt war. Ihr Gerichtsprozess läuft schon im fünften Jahr; in der ersten Runde wurde sie zu sechs Monaten gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Das Berufungsgericht hob das Urteil auf, derzeit läut die Berufungsverhandlung. Dorota Nieznalska lebt unter einem enormen Druck, sie erhält Drohungen, und immer noch hört sie grobe Äußerungen zu ihrer Arbeit.

In den 1990er-Jahren näherte sich die feministische Kunst stark der kritischen Kunst an. Feministische Arbeiten wurden auch von Männern produziert, wie etwa Zbigniew Libera mit „How to train little girls“ von 1987 oder seiner 1994 entstandenen Arbeit „Universal Penis Expander“. Bestimmte Themen und eine bestimmte Sprache galten als feministisch. Im Vergleich der heutigen Kunst mit der vor zehn Jahren war diese Zeit viel radikaler. Heute scheint unter Künstlerinnen eine Art ungeschriebenes Gesetz zu gelten: „Sei keine Feministin, mach keine allzu radikale Kunst!“ Es beherrscht eher ein Pop-Feminismus die Szene; das ist ein Rückschritt für die Kunst an sich. Eine Abkehr vom Feminismus ist zu verzeichnen, hin zu mehr Tradition. Sicherlich werden die Künstlerinnen selbst nicht traditionell, ihnen verbleibt eine gehörige Portion Ironie, anders können sie zurzeit nicht arbeiten. Die Arbeiten von Julita Wójcik weisen viele traditionelle Elemente auf: Sie pflanzt Blumen, schält Kartoffeln ...

AK: Das Werk von Dorota Nieznalska stagniert seit Beginn des Prozesses. Ihre Arbeiten zuvor waren grandios, sie provozierten zum Nachdenken. Das ist ein großer Verlust! Der Backlash in der Kunst ist allerdings nicht nur am Geschlecht festzumachen. Seit etwa fünf bis zehn Jahren gebiert die polnische Kunstwelt banale Popkunst. Die Künstler passen sich an vermeintliche Erfolgsgarantien an, genau wie im Westen! Trotz des Booms, den die polnische Kunst verzeichnet, ist das meine Kritik.

CN: Anna, auf deiner Website kann man sich eine polnische Frau im Bausatz zusammenstellen: dicke Brüste, kleine Brüste, Servieruniform oder Krankenschwester. Welche Reaktionen löste dein Projekt „The Polish Wife“ aus?

AK: Als ich in Polen lebte, konnte ich das Land nicht mit Distanz wahrnehmen. Aber als ich begann zu reisen, wurde mir bewusst, dass Männer Polinnen als reizvolle Objekte sehen: als Ehefrauen, Haushaltshilfen oder als Putzfrauen. Dänen sagten zu mir: „Super, dass Polen Mitglied der EU ist, dann kann ich mir ohne jegliche administrative Probleme eine Ehefrau holen.“ Ist Polen denn ein Selbstbedienungsladen? Aus diesen Beweggründen habe ich dieses Projekt gestartet, um die Vorstellungen, dass die polnische Frau schön, gläubig und fleißig ist, infrage zu stellen. Europäische Männer nehmen dieses Projekt ernst. Deutsche Frauen lächeln eher verständnisvoll. Allerdings haben sich Polinnen beschwert, weil sie sich persönlich angegriffen fühlten. Das Projekt provoziert; beleidigen will ich nicht.

CN: In Deutschland gibt es unterschiedliche Stimmen zur Emanzipation, etwa, sie habe den Frauen nichts gebracht. Ist eine solche Debatte in Polen denkbar?

IK: Der Diskurs, der die Feministinnen dafür anklagt, an dem Unglück der Frauen Schuld zu tragen, ist in Polen gegenwärtig. Immer wieder gibt es Schlagzeilen wie „Die Emanzipationsfalle“, „Die Frau – dein größter Feind“ oder „Vom Unsinn des Feminismus“. Einerseits erscheint Polen im Hinblick auf Emanzipation rückschrittlich, andererseits gibt es einen feministischen und einen postfeministischen Diskurs, eine Gender-Debatte. Innerhalb des polnischen Feminismus wird viel diskutiert über die Probleme von Frauen, über Gleichberechtigung, über die Abtreibungsfrage; eine einheitliche feministische Sprache gibt es nicht.

AK: Der Weg zurück zur Tradition zeigt sich europaweit. Das ist vielleicht verständlich, da es die Bestrebungen zur Gleichberechtigung wie etwa in Deutschland schon seit Jahrzehnten gibt. In Polen ist diese Bewegung erst im Kommen, wir holen auf.

Aber können die Frauen in Deutschland sagen, dass es Sinn gemacht hat, all die Jahre zu kämpfen? Können sie sagen, ob es Sinn gemacht hat, sich nicht die Beine rasiert zu haben und eine emanzipierte Frau mit Bart zu sein? Ich weiß es nicht. Die Polinnen werden einen anderen Weg gehen, sie sind anders. Sie rasieren weiterhin die Waden und lackieren sich die Nägel. Die deutschen Frauen waren immer so männlich.

CN: Wie seht ihr den Unterschied zwischen Ost und West hinsichtlich der Gleichberechtigung von Männern und Frauen?

IK: Die Diskrepanz zwischen dem westlichen und dem polnischen Feminismus bleibt enorm groß. Nach 1945 propagierte die polnische Regierung ein Frauenbild im Sinne der dominierenden kommunistischen Lebensauffassung, Frauen waren Ziel der allumfassenden Propaganda. Die große Präsenz der Frauen am Arbeitsmarkt von 1947 bis 1954 rührte daher, dass es nicht genügend männliche Arbeiter gab. Als dieses Defizit behoben war, nach 1955 bis in die 60er-Jahre, besann sich die Regierung auf die so genannte biologische Vorbestimmung der Frau. In den 70er-Jahren zeigte sich, dass der Feminismus nicht angenommen wurde. Die feministische Kunst prägten stark westliche Tendenzen; sie war häufig eine schlechte Kopie ohne Referenz zur gelebten eigenen Realität. Manche der prominenten weiblichen Künstlerinnen leugneten gar jede Verbindung zum feministischen Denken. Diese Haltung resultierte sicherlich aus dem Fehlen der Möglichkeit zu einer öffentlichen und kritischen Meinungsäußerung. Mit dem Kollaps des Kommunismus endlich öffnete sich das Land, auch dem Feminismus.

AK: Polen sollte sich stark hinterfragen. Die Gewalt in den Familien geht vorwiegend von Männern aus. Doch die Polizei ist hierfür nicht sensibilisiert und es gibt kaum Frauenhäuser, die ersten Schutz bieten. Auch richterliche Entscheidungen wie das Verbot zur Kontaktaufnahme, zum Schutz der Frau, fehlen. Sonst kommen wir nie wirklich in der EU an.

CN: Welche sind die am stärksten wirkenden Stereotype für junge Frauen in Polen?

IK: Zum Glück denken nicht alle in Stereotypen. Besonders junge Leute unterwerfen sich nicht dem dominierenden Diskurs. Aber sie werden trotzdem mit Botschaften überhäuft; besonders vom politisch rechten Rand. Dass die Frau Mutter und Hausfrau sein soll, ist Programm. Dennoch meine ich, der Feminismus findet unter vielen jungen Frauen seine Umsetzung in der Praxis. Die Konsumkultur wirkt sicherlich stärker als die Tradition; sie zeigt die Frau als ein Sexualobjekt, und dem kann man ja auch kritisch gegenüberstehen. Insbesondere wenn das Geld knapp ist.

CN: Welche Diskussionen löste 2003 die von niederländischen Feministinnen gegründete Aktion „Women on Waves“ aus, die mit einem medizinisch voll ausgerüsteten Schiff an der polnischen Küste ankerte und mit abtreibungswilligen Frauen auf internationale Gewässer fuhr?

IK: Die erste große Debatte in den polnischen Medien zum Thema Frauen und Abtreibung entstand. Ein Umschwenken aus einer eher ablehnenden Haltung zeigte sich in den Medien, als die enorme Aggression der Gegner, vor allem junger Männer der Allpolnischen Jugend, überhand zu nehmen drohte. Auch das Thema des illegalen Abtreibungsmarktes wurde publik. Es war eine sehr wichtige Aktion in Polen.

CN: Gibt es Frauen, die für euch Vorbilder sind?

AK: Maria Janion, die Grande Dame der feministischen Vordenkerinnen, ist ein großes Vorbild. Ich liebe ihre Bücher über ihre Sturm-und-Drang-Periode, besonders „Patriota – Wampir“. Dieses Buch hat mich schon als Teenager sehr berührt. Aber mein größtes Vorbild ist meine Mutter. Als Frau, als Künstlerin und natürlich als Mutter. Sie ist unglaublich! Ich bewundere Frauen, die es schaffen, ihre Karriere und Familie zu vereinen.

IK: Wir, Anna und ich, stehen für ein spezifisches feministisches Milieu, abseits der gesellschaftlichen Norm. Die Literaturwissenschaftlerin Maria Janion ist eine der unbestrittenen intellektuellen Autoritäten des Landes. So initiierte sie den „Brief der 100 Polinnen“, ein Protestschreiben, in dem hundert Frauen des öffentlichen Lebens gegen den zwischen Regierung und katholischer Kirche geschlossenen Pakt protestierten. Die Kirche wollte auf dem Land für den EU-Beitritt Polens werben, wenn die Regierung im Gegenzug nichts an der restriktiven Abtreibungsregelung ändere. Auch die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Bożena Chołuj ist zu nennen, die mit Małgorzata Fuszara „Gender Studies“ an der Warschauer Universität einführte. Frauenvorbilder in der Politik sind rar.

CN: Wo hatte die Frauenbewegung nach eurer Wahrnehmung die größten Erfolge? Wo gibt oder gab es Schwierigkeiten?

IK: Eine der ersten Entscheidungen des polnischen Premierministers Kazimierz Marcinkiewicz und der amtierenden Regierungspartei „Prawo i Sprawiedliwość“, PiS, „Recht und Gerechtigkeit“, war die Auflösung des erst vier Jahre zuvor gegründeten Amts des „Regierungsbeauftragten für die Gleichstellung von Frauen und Männern“; Magdalena Środa musste gehen. Polen ist der einzige EU-Mitgliedsstaat, der über kein selbstständiges Amt für Gleichberechtigungsfragen verfügt. Damit steht das Land im Widerspruch zu den EU-Richtlinien für Antidiskriminierung.

Im Feld des zivilgesellschaftlichen Engagements haben Feministinnen sehr viel erreicht. Gender Studies wurden in Polen erst eingeführt. Wir brauchen ein stärkeres Engagement von Frauen im politischen Prozess. Wir brauchen einen Gender Index, um überhaupt Frauenprobleme auf die Tagesordnung zu bringen.

Frauen werden weiterhin marginalisiert. Am schmerzhaftesten ist die Abtreibungsfrage, die die politische Rechte noch zu verschärfen droht. Um Politik für Frauen attraktiver zu machen, muss die Politik Gender Mainstreaming berücksichtigen. Aber auch die Frauen müssen sich ändern, sie müssen sich ihre Rechte nehmen und in die Politik gehen wollen. Sicherlich müssen dazu innere Barrieren überwunden werden. Es müsste ein spezielles Training für Frauen angeboten werden, damit sie stärker am politischen Leben teilhaben. Darüber hinaus sollte eine Frauenquote eingeführt werden.

CN: Wie schätzt ihr die Stimmung im Land ein? Regierungsvertreter sprechen regelmäßig im „Radio Maryja“. Der Eigentümer und Programmchef des Senders, Priester Tadeusz Rydzyk, ist landesweit für seine antisemitischen, rassistischen und homophoben Anschauungen bekannt.

IK: Bedenklich stimmt nicht nur die homophobe Rhetorik vieler PiS-Mitglieder, sondern auch die Wahl der Bündnispartner. Die Regierungspartei bildete einen so genannten Stabilitätspakt mit der rechtspopulistischen Bewegung namens „Selbstverteidigung“ und der katholisch-radikalen „Polnischen Familienliga“. In den Reihen der Familienliga sind einige ehemalige Mitglieder der „Allpolnischen Jugend“ vertreten, die dem rechtsextremen Spektrum zuzurechnen sind.

CN: Wie erlebt ihr die Stigmatisierung von Lesben und Schwulen im Land?

IK: Gut, dass Polen Mitglied der EU ist. Ich habe das am stärksten erlebt, als ich die „Parada Równości“, die Parade der Gleichberechtigung, in Poznań organisiert habe. Der parteilose Bürgermeister, Ryszard Grobelny, untersagte die gemeinsam von mehreren feministischen und LGBT-Organisationen für den 19. November 2005 geplante Demonstration durch die Innenstadt. In der Begründung des Verbots, das übrigens im Widerspruch zur Verfassung steht, konnte man lesen, dass der Marsch eine „Bedrohung in beträchtlichem Ausmaß für die öffentliche Ordnung, Leben, Gesundheit sowie Eigentum“ darstelle. Trotz des Verbotes versammelten sich einige hundert Demonstranten, die von Mitgliedern der „Allpolnischen Jugend“ attackiert wurden. Sie bewarfen die Teilnehmer mit Eiern und Flaschen und riefen Parolen wie „Schwule ins Gas“ und „Wir machen mit euch, was Hitler mit den Juden gemacht hat.“ Die Polizei ging brutal vor – allerdings gegen die Teilnehmer der Demonstration. Sie riegelte Straßen ab und verhaftete 65 Demonstranten. Nur wenige Wochen später erklärte das Verwaltungsgericht der Woiwodschaft Poznań das Verbot durch den Bürgermeister für rechtswidrig. Es widerspreche sowohl dem polnischen als auch dem europäischen Recht. Die Entscheidung des Bürgermeisters zeigt, dass die demokratischen Rechte in Polen eben nicht selbstverständlich sind. Dieses Ereignis wurde auf internationaler Ebene heftig diskutiert.

CN: Wie erlebt ihr die Integration Polens in die Europäische Union? Gibt es Veränderungen?

AK: Als Frau könnte ich sagen: „Ich will einen Mann im Westen finden“, aber ich erwarte nichts im Leben, weil ich nicht imstande bin, darauf Einfluss zu nehmen. Ich wurde so erzogen, dass ich mich überall wohl fühle. Wenn ich auf einem Feld in Dänemark schlafe, fühle ich mich genauso, als wenn ich in London oder Poznań wohne. Das hängt vom eigenen Bewusstsein ab.

CN: Was war für euch der größte persönliche Erfolg der Emanzipation?

AK: Ich habe Architektur studiert, eine sehr männliche Fachrichtung. Im ersten Studienjahr sagte einer meiner Professoren: „Du, ein Mädel an der technischen Hochschule? Du wirst später doch nur Kaffee kochen!“ Fünf Jahre später ruft er mich an und hat eine Interviewanfrage, da er einen Zeitungsartikel zum Thema junge erfolgreiche Architekten/innen aus Poznań schreibt – und ich eine der wenigen aktiven Frauen bin. Das ist mein ganz privater Emanzipationserfolg!

IK: Auf der privaten Ebene ist für mich die Erziehung meiner Kinder mit emanzipatorischen Werten, ihre Sensibilisierung für Geschlechterfragen ein wichtiger Beitrag zur täglichen Umsetzung von Emanzipation. Mein gesamter beruflicher Erfolg geht einher mit dem Aufgreifen und Einbringen des Feminismus in die Kunstgeschichte.

CN: Wenn ihr morgen Regierungschefin in Polen werden würdet, was wären eure ersten drei wichtigsten Regierungshandlungen?

AK: Als Erstes würde ich alle diese ignoranten, dummen Politiker entlassen. Zweitens würde ich die Monarchie mit mir selbst an der Spitze einführen. Es muss keine Königin geben, aber eine Prinzessin. In einer Monarchie gibt es Ordnung. Nicht jeder dahergelaufene Dummkopf kann Präsident werden. Ich würde eine grüne Politik einführen, nicht nur der Feminismus, auch das Thema Energie ist wichtig. Ich würde die Steuern senken und die Einkommen erhöhen.

IK: Ich würde vor allem das Antiabtreibungsgesetz liberalisieren, das in der jetzigen Form ein Schlag gegen die Menschenrechte ist. Als Zweites würde ich auf die Trennung von Staat und Kirche hinwirken. Und als Drittes würde ich ein Quotensystem für Frauen einführen.

CN: Vielen Dank für dieses Gespräch.

Anna Krenz lebt seit 2001 in Berlin. Die studierte Architektin mit Schwerpunkt ökologisches Bauen ist als freie Künstlerin aktiv und hat ein vom Berliner Senat gefördertes Projekt über deutsch-polnische Vorurteile unter dem Titel „Der deutsche Mann“ durchgeführt. Auch das Vorgängerprojekt „Die polnische Frau“ wurde mit großem Interesse aufgenommen und beim 1. Berliner Kunstsalon, dem Kulturhaus Spandau und in der deutsch-polnischen Universität Viadrina ausgestellt. Ihre Kommentare sind bissig, ironisch und behandeln die eingefahrenen Meinungen und Ansichten der Menschen auf beiden Seiten der Oder.

Dr. Izabela Kowalczyk unterrichtet Kunstgeschichte und -theorie an der Nikolaus-Kopernikus-Universität Toruń. Zu ihren Arbeitsgebieten zählen: Moderne und zeitgenössische Kunst, Gender Studies, feministische Theorie. 2002 kuratierte sie in der Galerie „Arsenał“ in Poznań die Ausstellung „Dangerous Liaisons“. Von 1994 bis 1996 führte sie die nicht-kommerzielle Galerie „Fractale“ in Poznań. „Konsola“, eine Initiative zur Vermittlung feministischer Theorie, die regelmäßig Symposien und Ausstellungen organisiert, wurde von ihr 1998 mitbegründet. 2001 rief sie das Internetmagazin „artmix“ mit Texten zu Kunst, visueller Kultur und Feminismus ins Leben. Für ihre Veröffentlichungen auf dem Feld der feministischen Kunsttheorie und der Kunstkritik wurde Izabela Kowalczyk in Polen mit mehreren Preisen ausgezeichnet.

Dr. Claudia Neusüß studierte Politikwissenschaften, Psychologie und Wirtschaftsgeografie in Bonn, sie promovierte als Politologin 1994 an der Freien Universität Berlin. 1990 bis 1996 lehrte sie an der FU Berlin mit den Themenschwerpunkten Sozial-, Arbeitsmarkt- und Familienpolitik, alternative Ökonomie sowie empirische Forschungsprojekte zum Thema Frauen und Sozialstaat. Sie arbeitet als Expertin in Sachen Gender Mainstreaming.
Thema:
Debatte

Artikel zum Thema:
Polnische Polit-Reality
Der Theaterwissenschaftler Paweł Goźliński wettert gegen mediale Augenwischerei, Talkshow-Wahnsinn und Politiker, die besser schlechte Schauspieler geworden wären.
Projekte zum Thema:
Ambassadors – Rechercheprogramm
[ Arbeitsaufenthalte für Künstler und Kuratoren im jeweiligen Nachbarland ]
Radio_Copernicus
[ Deutsch-Polnisches Künstlerradio ]
Jagniątków. Move the Mount
[ Interdisziplinäres Laboratorium für Choreografen ]
SFX: Publiczność - Spontane Öffentlichkeiten
[ Ausstellungsprojekt ]
baz@rt / Europe Learning - Frankfurt meets Krakow
[ Theaterfestivals in Krakau und Frankfurt am Main ]
Mechanismen des Vergessens. Eine deutsch-polnische Konferenz
[ Phänomene von Vergessen und Marginalisierung in der bildenden Kunst der letzten 20 Jahre ]
Deutschland gegen Polen
[ Die Fußballtalkshow ]
Veronika Blumstein - Moving Exiles
[ Festival für Erfindung und Choreografie ]
PDF / RadioSimulator
[ Polnisch-Deutsche Freundschaft ]