Die Wand darf nicht trennen
Jagienka Wilczak

Nicht nur die Sonne geht früher auf und unter an der östlichen EU-Grenze. Der gemeinsame Rhythmus muss sich erst finden, das liegt nicht nur an den Längengraden. Im Grenzgebiet Wolhynien ist der polnische Friedhof im ukrainischen Pawliwka ein Symbol der Aussöhnung und im polnischen Pawłokom können die Ukrainer ihre Toten betrauern. Die Fehden vor allem der Kriegs- und Nachkriegszeit werden endlich beigelegt. Die Nachbarn wollen eine gemeinsame Zukunft gestalten: Ukrainische Politiker hospitierten auf der polnischen Seite, um die Grundlagen der Demokratie zu verstehen – auch ein Beitrag zur Orangenen Revolution 2004 in der Ukraine. Ein polnisches Visum ist in der Ukraine immer noch eines der begehrtesten Dokumente, die Beschaffung übernimmt zunehmend die örtliche Kriminalität. Dennoch ist der Blick über den eigenen Tellerrand das Beste, das einfach passieren musste, denken vor allem die Jungen auf beiden Seiten.

Mit dem Beitritt Polens zur Europäischen Union liegt das polnische Przemyśl nun an deren fernsten östlichen Grenzen. Przemyśl ernährt sich von der Grenze: Nach Medyka, an den Grenzübergang zur Ukraine, sind es nur wenige Kilometer.

Die Grenze, einst undurchlässig geschlossen – doch seit Polen die Unabhängigkeit der Ukraine anerkennt, ist sie erwacht; von der einen wie von der anderen Seite. Für die Vereinfachung des Reisens und die Nachbarschaft der Menschen auf beiden Seiten, dafür kämpften die polnischen Politiker, Linke wie Rechte. Der Handel florierte: Im Sportstadion von Przemyśl etablierte sich der größte Wochenmarkt des Ostens, beinahe in jedem Haus wurden Zimmer vermietet, so gut wie in jedem Hof gab es eine Garküche. Diese Zeiten gehören der Vergangenheit an; zwar wächst der Grenzverkehr immer noch an, aber nach Ansicht der Grenzschutzbeamten ist er nun geordnet, zivilisiert, wie es sich an den Grenzen der Union gehört. Dennoch fließt durch die Stadt fortwährend Geld, legales wie illegales; hauptsächlich aus dem Zigaretten- und Alkoholschmuggel.

Im Laufe jener Jahre haben sich erstmals Polen und Ukrainer, die an der Grenze zu Hause sind, einander angenähert. Langsam nur verblassen Vorurteile, Hass und Feindschaft – die tragenden Gefühle, die in der über Jahrhunderte andauernden schwierigen Nachbarschaft wucherten; insbesondere in den für die Polen tragischen Jahren des Zweiten Weltkrieges und in der Nachkriegszeit, denn hier dauerten die blutigen Kämpfe noch einige Jahre länger an. Endlich haben Dialog und Aussöhnung begonnen, um das gegenseitige Unrecht zu vergessen und an die Gräber der Verstorbenen und Ermordeten auf beiden Seiten zu erinnern. Im ukrainischen Teil Wolhyniens ist der polnische Friedhof von Pawliwka Symbol des Friedens und feierlich wurde der ukrainische Friedhof in Pawłokom auf der polnischen Seite Wolhyniens eingeweiht.

Polen zögerte bis zum letzten Augenblick die Einführung von Visa für die Ukrainer in die Länge. Ein Visum kostet; und die Befürchtung war nicht von der Hand zu weisen, dass das Visa-System den freien Verkehr sowie die Kontakte einschränken und den Prozess der Bewusstseinsveränderungen in der Ukraine verlangsamen könnte. Warschau hat Kiew auf höchster Ebene in seinen pro-westlichen Ambitionen unterstützt; viel fundamentalere Änderungen jedoch geschahen unten, dort, wo lokale Kommunen die Zusammenarbeit miteinander aufnahmen. Ukrainische Kommunalpolitiker machten Fortbildungen, praktizierten in polnischen Städten und Gemeinden und übertrugen – soweit möglich – die gewonnenen Erfahrungen auf die eigene Region, wo man von Grund auf eine Bürgergesellschaft aufbauen musste.

Die Menschen lernten, dass sie etwas bewegen können, dass der Wahlschein ihnen erlaubt, Einfluss auf das Schicksal der lokalen Gemeinschaften zu nehmen. Gerade sie unterstützten die Orangene Revolution im Jahr 2004. Brüssel drängte auf die Einführung der Visa. Seit Oktober 2003 sind sie zwar Pflicht für die Ukrainer, die nach Polen fahren wollen, doch unentgeltlich. Die Polen passieren die ukrainische Grenze weiterhin ohne Visa. Weißrussen müssen für ein polnisches Visum zahlen; ein weißrussisches Visum für Polen kostet sechs Dollar und die Wartezeit beträgt zwei Tage. Ein Express-Visum, das innerhalb einiger Stunden ausgestellt wird, kostet elf Dollar. Im Konsulat der Republik Weißrussland in Biała Podlaska können auch EU-Bürger ein weißrussisches Visum erhalten.

Die Warteschlangen abschaffen

Vor den polnischen Konsulaten in Lemberg, 80 Kilometer entfernt der Grenze in der westlichen Ukraine gelegen, reihten sich mit Anbeginn der Reisemöglichkeiten die Menschen in die Warteschlange. Und die Warteschlangen wachsen weiter. Um den Waren- und Menschenfluss zu beschleunigen, führte Lemberg die elektronische Registrierung ein. Ein polnisches Visum ist in der Ukraine immer noch ein heiß begehrtes Dokument. So sehr, dass Kriminelle vor den Konsulaten ihr Betätigungsfeld gefunden haben, indem sie Plätze in der Warteschlange verkaufen. Wer sein Reiseziel benennen kann und mit geordneten Papieren erscheint, dem steht ein Visum zu. Für Schüler und in Polen Studierende sowie für legal Arbeitende ist der Weg in der Regel kürzer; ähnlich für dienstlich Reisende. Und das Papier ist kein Freifahrtschein für freies Reisen in den Ländern des Schengener Abkommens - wovon sich von Zeit zu Zeit die Ukrainer beim Versuch, die polnisch-deutsche Grenze zu passieren, überzeugen lassen müssen. Wenn Polen der Schengen-Vereinigung beitritt – 2007 kann dies der Fall sein – dann werden die Visa teurer. Ukrainer und Weißrussen haben vor diesem Moment große Angst: Das wirtschaftliche Gefälle würde zu einer existenziellen Bedrohung.

Konfuser als vor den Konsulaten zeigt sich die Situation an den Grenzübergängen: Hier stehen sich die Menschen bei Wind und Wetter die Beine in den Bauch; zuweilen gar Dutzende von Stunden, der Verkehr ist niemals fließend. In Kürze sollen im Karpatenvorland zwei weitere zu den drei bestehenden Grenzübergängen in die Ukraine geöffnet werden, vielleicht löst sich dann endlich der Stau. Auch auf der polnischen Seite, in Medyka, müssen die Menschen mit ihrem Gepäck ausharren, obgleich die Abfertigung hier routinierter erfolgt. Die Ukrainer kaufen auf der polnischen Seite vor allem Teppiche, Möbel und Lebensmittel ein; ganze Bädereinrichtungen mit Armaturen, Kacheln und Baumaterialien wechseln die Grenze. Denn in Polen ist die Auswahl preisgünstiger und größer, geradezu europäisch nennen das die Ukrainier. Die Reisenden zahlen in Dollars und Euro, die Differenz erhalten sie in Złoty. In jedem Supermarkt und in größeren Läden auf der polnischen Seite gibt es Wechselstuben, die auf die Kunden aus dem Osten eingestellt sind. Viele Geschäfte und Hersteller werben auf Ukrainisch; entlang der internationalen Straße fallen alle paar Kilometer Schilder und Reklameflächen grell ins Auge. Die Ukrainer sind als gute Kunden gern gesehen, sie kaufen Luxus-Waren, die teuersten und neuesten Modelle, und zahlen bar.


In Medyka blüht der Grenzschmuggel

Die Grenzschmuggler, genannt „Ameisen“, benutzen den Tag und Nacht geöffneten Fußübergang. Die verbrauchssteuerfreien Zigaretten und Alkohol sind der Grund. Auf der ukrainischen Seite, gleich hinter dem Schlagbaum, ist ein ganzes Netz von schnell errichteten Ladenbuden entstanden, um den Grenzschmugglern die Arbeit zu erleichtern. Sie müssen nicht weiter bis nach Mostys'ka fahren, dem ersten ukrainischen Städtchen hinter der Grenze. Hauptsächlich Einwohner der Grenzregion üben sich im Schmuggel; eigentlich dürfen sie eine Packung Zigaretten und einen halben Liter Wodka aus der Ukraine mitbringen. Einige tragen mehr, in der Hoffnung, die Zöllner würden die Schmuggelware nicht aufspüren. Manchmal geht es gut. Der Großteil jedoch transportiert so viel, wie der liebe Gott es geboten hat, sie fürchten die Strafen: Am bittersten ist der Stempel mit dem Grenzüberschreitungsverbot. Die meisten gehen täglich; legen ein Päckchen zum nächsten, und wenn sich ein bisschen angesammelt hat, verkaufen sie es an die Großhändler, die den weiteren Vertrieb im größeren Stil übernehmen. Die Gewinnmarge beträgt hundert Prozent. In Przemyśl raucht niemand verzollte Zigaretten. Die Zollbeamten am Übergang in Medyka stellen durchschnittlich 60.000 bis 80.000 Päckchen jede Woche sicher.

Am Alkohol ist der Verdienst geringer, lohnt aber noch immer. Heute bringt keiner mehr „Einfachen“ mit, reinen Wodka. Es wird mit Marken-Alkohol, mit Cognac und Likören gehandelt. Auch Süßigkeiten sind von Interesse, ein Kilogramm kostet zehn Złoty, um die Hälfte billiger als polnische Produkte. Gut gehen auch Ketchup und Tomatenmark. Verkaufsschlager ist Benzin, das in der Ukraine um die Hälfte billiger ist. Nach Polen darf man einen vollen Tank sowie zehn Liter im Kanister mitbringen. Polen und Ukrainer transportieren das Benzin, für den Handel oder für sich. Gewöhnlich mit Passat-Modellen, denn die haben den größten Benzintank. Entlang der Strecke, auf den Parkplätzen an der Straße, warten kleine Abfüllanlagen. Alle Versuche, diesen Handel zu bekämpfen, bleiben ohne Erfolg. Solange bei den zu verzollenden Waren eine derart hohe Gewinnmarge besteht und wirtschaftliche Unterschiede eklatant bleiben, so lange wird es den Grenzschmuggel geben. In Przemyśl und Umgebung lebt jede zweite bis dritte Familie vom Grenzschmuggel. Touristen aus dem Westen, sofern sich hier welche einfinden, beobachten neugierig das Treiben, denn es ist einzigartig an den EU-Grenzen. Auch, wenn in Richtung Osten an jeder Grenze der kleine und größere Grenzverkehr den Warentransport regelt.

Wandertour der anderen Art

Über die östliche Grenze in der Umgebung von Przemyśl und Lubaczów, durch die Berge der Ostbeskiden, kommen die illegalen Einwanderer. Für gewöhnlich sind es Vietnamesen, sie kommen in organisierten Gruppen, die Führer bezahlten sie im Heimatland. Sie wollen den Westen erreichen; sie bauen darauf, dass es ihnen gelingen wird, die polnisch-deutsche Grenze zu überwinden. In der Regel werden sie bereits einige Kilometer nach dem Übergang geschnappt, die polnischen Wachtürme stehen dicht beieinander, alle zehn Kilometer etwa. Häufig stellen sich die Führer als Betrüger heraus, die behaupten, bereits auf der deutschen Seite angekommen zu sein. Ausgesetzt im dichten Wald ohne Ortskenntnisse, verbleiben die Flüchtlinge ohne Geld und ohne Hilfe. In der Regel sind Frauen und Kinder unter ihnen.

Frauen aus Rumänien und Moldawien werden über die Grenze der Ukraine verschleppt, um anschließend im Westen verkauft zu werden. Der Grenzschutz ist hilflos: Die Beamten erklären, es sei schwer, überhaupt den Tatbestand Menschenhandel zu benennen, geschweige denn aufzudecken, da die Frauen legal und freiwillig reisen. Erst nachdem sie am vermeintlichen Ziel angelangt sind, erwartet sie das Drama. Menschenhandel ist einfach; er bringt, im Vergleich etwa mit dem Drogenhandel, riesige Gewinne ein und ist bedeutend sicherer, weil schwerer aufzuspüren.

Zum Kaffeekränzchen nach Lemberg?

2005 hob die Ukraine die Visapflicht für Bürger der Europäischen Union auf. Aber nur wenige entschließen sich, die Sehenswürdigkeiten Lembergs zu bewundern. Für Bewohner des Westens endet Polen in Krakau. Nach Przemyśl machen sie sich lieber nicht auf, denn der Weg, der an die östliche Grenze der EU führt, hat den schlechten Ruf eines Todesweges. Die Reise aus Krakau dauert sieben Stunden, japanische Touristen machten sich mutig auf. Zwar haben sie Przemyśl lebend erreicht, allerdings erklärten sie, diese Erfahrung nicht wiederholen zu wollen, da sie zu sehr am eigenen Leben hingen. Die Einwohner von Przemyśl fahren ebenfalls nicht zum Sonntagskaffee nach Lemberg. Die Schlangen an der Grenze schrecken sie ab. Es sei denn, die Premiere einer Inszenierung an der Lemberger Oper steht an. Anfang September, während des Galizien-Festivals, das seit einigen Jahren von der „Erbe-Stiftung“, der „Fundacja Dziedzictwo“, organisiert wird, führte die Lemberger Oper auf dem Schloss in Krashiczyn unweit von Przemyśl den „Barbier von Sevilla“ auf. Die Vorstellung fand vor ausverkauftem Hause statt. Nach Lemberg, zur polnisch-ukrainischen Vorstellung „Im Land der Operette“, fuhren einige hundert Musikliebhaber aus Przemyśl. Das Festival hat den polnisch-ukrainischen Kontakten bereits einen neuen Charakter verliehen, aber dessen Organisatorin Krystyna Schmeruk sagt, die Menschen fingen erst an, sich für andere Kulturen und Religionen zu öffnen.

Przemyśl und Lemberg hat viel Leid getrennt, das aus der Kriegsgeschichte erwuchs. Die Kommunen bemühten sich, den Abgrund zu überbrücken, es fand sogar eine gemeinsame Sitzung beider Stadträte statt und infolge ihrer eine Haushaltssitzung und ein touristischer Jahrmarkt. Ukrainische Kurorte wie Truskawiec erfreuen sich großer Beliebtheit. Auch aus ökonomischen Gründen: Für Polen ist die gekaufte Gesundheit hier wesentlich günstiger als im eigenen Land. In der Umgebung von Przemyśl wurde eine gemeinschaftliche Fahrradroute abgesteckt, die in der Nähe der österreichischen Festungsanlagen aus der Zeit des Ersten Weltkrieges verläuft.

Europäische Bestrebungen

Die standardmäßigen Kontakte zu verändern, das versuchen diejenigen, die an die europäischen Bestrebungen der Ukraine glauben. Seit 2003 kommen ukrainische Journalisten in Przemyśl zusammen; die lokale Stiftung für Demokratie bereitet Bildungsprogramme auf, die Werte der Europäischen Union vermitteln sollen. Jedes Jahr im Oktober pflanzen die Meinungsmacher gemeinsam mit polnischen Journalisten einen Medienwald. Die Bäume wachsen. Um zu sehen, wie die Europäische Union funktioniert, vor der sich die Ukrainer immer noch fürchten, besuchen die Medienvertreter Brüssel. Marek Cynkar, Korrespondent von Radio Rzeszów in Przemyśl, ist der Initiator, geschickt in der Akquise. Die ersten Gelder kamen aus den USA; nun sind unter den Sponsoren der Stiftung vor allem lokale Geschäftsleute.

Ob die Staatliche Osteuropäische Hochschule Erfolg haben wird? Sie wurde im Juli 2006 anstelle der Staatlichen Berufshochschule in Przemyśl errichtet. Die Schule soll als Rückkehr zur Tradition einer Stadt verstanden werden, die ihre Entwicklung auf das Werk vieler Kulturen und Zivilisationen gegründet hat; sie knüpft direkt an die Erfahrungen und die Arbeit der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder an. Ihr Impuls ist die Aufrechterhaltung der traditionellen kulturellen Verbindungen mit dem engsten Nachbarn und die Schaffung einer Brücke zwischen einem Polen, das zur EU gehört, und der Ukraine. Laut ihrer derzeitigen Verfassung will sich die überregionale Hochschule um EU-Gelder aus den für die Entwicklung der „Ostwand“ vorgesehenen Programmen bemühen. Die Hochschule eröffnet mit fünf Fachrichtungen, darunter ukrainische Philologie, Geschichte, Soziologie und Politologie. Einige Dutzend Studenten aus der Ukraine studieren bereits hier in Polen. Diese neue Generation der Wissenschaftler stammt aus polnischen Familien, denn nur sie können Stipendien erhalten. Leider hat das polnische Außenministerium immer noch nicht für die Verabschiedung eines Gesetzes gesorgt, das es erlauben würde, Ausländern Stipendien zu gewähren. Hier ist eine noch bescheidene Hochschule entstanden, aber mit deutlich humanistischem Profil, offen für den Osten und mit guten Entwicklungschancen.

Im Grunde haben alle polnischen Städte an der östlichen Grenze, große wie kleine, enge Kontakte mit Partnern in der Ukraine. Zamość organisiert gemeinsam mit Luzk ein Festival zeitgenössischer Musik. Gemeinsam mit Zhukiv wurde, im Rahmen des europäischen Programms INTERREG/TACIS das Projekt Königsweg realisiert, eine Zusammenarbeit der historischen Städte im Bereich des grenzübergreifenden Fremdenverkehrs. Die kulturellen Zusammenkünfte sowie die Handelskontakte mit Zhukiv sind bereits seit fünfzehn Jahren sehr rege. Mit Hilfen der Europäischen Union wird hier das Projekt Zamość - Zhukiv - Lemberg verwirklicht: eine partnerschaftliche Zusammenarbeit dieser historischen Städte in den Bereichen der Kultur, Geschichte und Architektur, in schöpferischer und künstlerischer Arbeit. Eben diese Möglichkeit, von dem Programm INTERREG/TACIS zu profitieren, mobilisiert endlich auch jene polnischen Städte zur Aufnahme einer Zusammenarbeit, die bislang zögerten. Dagegen warten auf der ukrainischen Seite ungeduldig die potentiellen Partnerstädte; sie wissen, dass sie ausschließlich profitieren können. Dank der Mittel, die aus dem EU-Programm PHARE fließen, konnten die fast 70.000 Einwohner der polnischen Kreisstadt Chełm das zehnjährige Partnerschaftsjubiläum mit Kowel in der Ukraine feiern. Anlässlich der Ausstellung „Östliche Wirtschaftsinitiativen“ unterzeichneten lokale Hersteller einige Dutzend Handelsverträge. Eine Initialzündung, denn im Gebiet der polnischen Ostwand herrscht die höchste Arbeitslosigkeit der gesamten Europäischen Union; in Chełm beträgt sie 20 Prozent. An erster Stelle steht hier der wirtschaftliche Austausch, denn von ihm hängt der Erfolg der Zusammenarbeit auf anderen Gebieten ab. Chełm bewirbt sich um die EU-Gelder, Kowel ist in der Regel sein Partner. Grzegorz Orzeł von der Stadtverwaltung Chełm denkt, so lange Brüssel Mittel zur Verringerung der kulturellen und ökonomischen Unterschiede vergibt, solle man diese auch nutzen. Grzegorz Orzeł konnte einen ganz persönlichen Erfolg aus den neuen Kontakten gewinnen; im Juni heiratete er Wiktoria, eine Doktorandin an der Fakultät für Internationale Beziehungen der Universität in Luzk. Die Trauung fand in der Kathedrale von Luzk statt und die Feier im Schloss. Zuvor jedoch musste der Bräutigam auf dem Schlosshof vier grantige Ritter besiegen, die ihm seine Frau entführt hatten. So sieht es der örtliche Brauch vor.

Jagienka Wilczak verlor in der Zeit des Kriegsrechts ihre erste Anstellung als Journalistin beim Polnischen Rundfunk. 1984, nachdem sie einen Reportage-Wettbewerb gewonnen hatte, kehrte sie in ihren Beruf zurück und arbeitet bis heute beim Wochenmagazin „Polityka“. In den letzten Jahren schrieb sie hauptsächlich über ukrainische und weißrussische Politik sowie über den Balkan.

(Aus dem Polnischen von Christina Marie Hauptmeier)
Thema:
Leben an der Grenze

Artikel zum Thema:
Pomerania und die Ostsee – Euroregionen der Zukunft
Die polnische Ostsee ist die Schöne, an deren endlosen weißen Stränden deutsch- polnische Jugendtreffen zu einem unersetzlichen Eindruck für eine gemeinsame Zukunft werden. Da tut sich was!
Projekte zum Thema:
Ambassadors – Rechercheprogramm
[ Arbeitsaufenthalte für Künstler und Kuratoren im jeweiligen Nachbarland ]
Hip-Hop Konzert: Tworzywo Sztuczne (PL) und Puppetmastaz (D)
[ zur Eröffnung des „Deutsch-Polnischen Jahres 2005/2006“ in Frankfurt (Oder) und Słubice ]
TRANSFER!
[ Ein deutsch-polnisches Theaterprojekt über Flucht und Vertreibung von Jan Klata ]
Odra-Oder. Geschichte, Gegenwart und Zukunft eines europäischen Kulturraums
[ Ausstellung und Konferenz ]